DFG Netzwerk LuPE – Literatur und Praktiken der Existenz.
Adlige Subjektivierungsformen vom 13. bis zum 16. Jahrhundert
Das Netzwerk zielt darauf ab, in interdisziplinärer Zusammenarbeit eine neue Perspektive auf das Zusammenspiel von Literatur und Subjektivierungsform im Spätmittelalter zu entwickeln. Es wird somit danach gefragt, welche Rolle literarische Interessen für die Identitätsbildung des Adels gespielt haben und wo Schnittpunkte zwischen literarischen Texten und höfischen Praktiken auszumachen sind (so etwa in Turnieren, in denen Teilnehmer verkleidet als Artusritter auftreten). Es scheint eine besondere, aber bisher nicht hinreichend erforschte Eigenheit des Spätmittelalters zu sein, literarische Schriftkultur in Formen der Selbststilisierung einzubinden: So entwirft etwa Jakob Püterich von Reichertshausen in seinem sog. ‚Ehrenbrief‘ von 1462 einen ganzen Bibliothekskatalog, mit dem er Zeugnis von seiner eigenen literarischen Beschäftigung ablegt. Dass der Brief selbst zudem in traditionellen, hochstilisierten sog. ‚Titurel‘-Strophen verfasst ist, demonstriert weiterhin das Aufweichen fester Grenzen zwischen Literaturrezeption, Selbststilisierung und Literaturproduktion.
Dies ist nicht allein als deutsches, sondern als ein gesamteuropäisches Phänomen anzusehen. Das Netzwerk bringt daher Spezialist*innen aus verschiedenen mediävistischen Disziplinen zusammen: Germanistik, Anglistik, Romanistik, Skandinavistik und Geschichtswissenschaft. Gemeinsam soll eine Monographie verfasst werden, die unterschiedliche Prozesse adliger Subjektbildung mittels literarischer Stilisierungen im spätmittelalterlichen Europa miteinander in Bezug setzt. Gerade im Vergleich verschiedener Sprach- und Kulturfelder untereinander ergeben sich so neue Ansätze zur Untersuchung von adligen Subjektivierungsprozessen im Spätmittelalter.
Gleichzeitig soll innerhalb des Netzwerkes ein theoretischer Rahmen erarbeitet werden, der zukunftsweisend für weitere Forschung Möglichkeiten und Grenzen dieses neuen Forschungsfeldes aufweist. Dieser Theorieansatz kombiniert dabei Überlegungen des Philosophen Michel Foucault mit neueren soziologischen Ansätzen zu einer ‚Theorie der Praxis‘ (Reckwitz). Foucault hat in seinen späteren Arbeiten ein Konzept der ‚Technologien des Selbst‘ entwickelt, das Praktiken beschreibt, über die Menschen ihr eigenes Selbst modifizieren und stilisieren. Im Zusammenspiel mit aktuellen Forschungsansätzen zu sozialen Handlungsmodellen lässt sich so ein Analyseinstrumentarium entwerfen, das Praktiken spätmittelalterlicher Existenzbildung und literarischer Selbststilisierung auf eine methodische neue und interdisziplinär ausgerichtete Perspektive beschreiben kann.