Projekte Ältere deutsche Literaturwissenschaft
DFG-Sachbeihilfe „Heilige in Sammlungen, gesammelte Heiligkeiten. Sammlungspraxis und die Modellierung religiöser Leitbilder in Legendaren des Hoch- und Spätmittelalters“
Das von der DFG geförderte Projekt ist an den Universitäten zu Kiel und Köln angesiedelt und fragt nach der Ausbildung religiöser Leitbilder anhand der gezielten Auswahl und Zusammenstellung von Kurzlegenden in umfangreichen Sammlungen (‚Legendaren‘) aus dem Kontext des Zisterzienserordens. Die Sammlungspraxis hat, so die These, entscheidenden Einfluss auf die Erzählform der Legenden, da diese fortwährend an spezifische Sammlungsinteressen und pragmatische Kontexte angepasst werden. Gegenüber einer Forschung, die für die Zisterzienser eher die Normierung im Diskurs religiöser Didaxe betont, sollen hier vielmehr die Freiheiten in der multifunktionalen Adaptation von Legenden in den Blick genommen werden, da die einzelnen Zisterzen die Legendare durchaus nach ihren lokalen Bedürfnissen zusammenstellten. In exemplarischen Fallstudien zu zisterziensischen lateinischen Legendaren des 12. Jahrhunderts (Unterprojekt 1, Annalena Nüsing, Kiel) und volkssprachlichen Legendaren des 15. Jahrhunderts (Unterprojekt 2, Maja Schwerinski, Köln) sollen die spezifischen Verschiebungen und Dynamisierungen von Heiligkeitsentwürfen in unterschiedlichen klösterlichen Milieus und Akteurskreisen untersucht werden. Das am IdSL I angesiedelte Unterprojekt 2 fragt nach den Sammlungskonzeptionen volksprachlicher Legendare am Beispiel der Lichtenthaler Schreibmeisterin Regula. Deren hagiographisches Œuvre soll stärker, als es bisher geschehen ist, als Projekt zisterziensischen Sammelns und im Blick auf die Variabilität und Prozessualität legendarischen Erzählens bzw. hagiographischer réécriture beschrieben werden. Dies verspricht neue Erkenntnisse zur Transformation religiöser Leitbilder im Kontext volkssprachlicher Schriftlichkeit und Klosterreform im 15. Jahrhundert.
Projektleitung: Prof. Dr. Andreas Bihrer (Kiel), Prof. Dr. Julia Weitbrecht (Köln)
DFG Netzwerk LuPE – Literatur und Praktiken der Existenz. Adlige Subjektivierungsformen vom 13. bis zum 16. Jahrhundert
Das Netzwerk zielt darauf ab, in interdisziplinärer Zusammenarbeit eine neue Perspektive auf das Zusammenspiel von Literatur und Subjektivierungsform im Spätmittelalter zu entwickeln. Es wird somit danach gefragt, welche Rolle literarische Interessen für die Identitätsbildung des Adels gespielt haben und wo Schnittpunkte zwischen literarischen Texten und höfischen Praktiken auszumachen sind (so etwa in Turnieren, in denen Teilnehmer verkleidet als Artusritter auftreten). Es scheint eine besondere, aber bisher nicht hinreichend erforschte Eigenheit des Spätmittelalters zu sein, literarische Schriftkultur in Formen der Selbststilisierung einzubinden: So entwirft etwa Jakob Püterich von Reichertshausen in seinem sog. ‚Ehrenbrief‘ von 1462 einen ganzen Bibliothekskatalog, mit dem er Zeugnis von seiner eigenen literarischen Beschäftigung ablegt. Dass der Brief selbst zudem in traditionellen, hochstilisierten sog. ‚Titurel‘-Strophen verfasst ist, demonstriert weiterhin das Aufweichen fester Grenzen zwischen Literaturrezeption, Selbststilisierung und Literaturproduktion.
Dies ist nicht allein als deutsches, sondern als ein gesamteuropäisches Phänomen anzusehen. Das Netzwerk bringt daher Spezialist*innen aus verschiedenen mediävistischen Disziplinen zusammen: Germanistik, Anglistik, Romanistik, Skandinavistik und Geschichtswissenschaft. Gemeinsam soll eine Monographie verfasst werden, die unterschiedliche Prozesse adliger Subjektbildung mittels literarischer Stilisierungen im spätmittelalterlichen Europa miteinander in Bezug setzt. Gerade im Vergleich verschiedener Sprach- und Kulturfelder untereinander ergeben sich so neue Ansätze zur Untersuchung von adligen Subjektivierungsprozessen im Spätmittelalter.
Gleichzeitig soll innerhalb des Netzwerkes ein theoretischer Rahmen erarbeitet werden, der zukunftsweisend für weitere Forschung Möglichkeiten und Grenzen dieses neuen Forschungsfeldes aufweist. Dieser Theorieansatz kombiniert dabei Überlegungen des Philosophen Michel Foucault mit neueren soziologischen Ansätzen zu einer ‚Theorie der Praxis‘ (Reckwitz). Foucault hat in seinen späteren Arbeiten ein Konzept der ‚Technologien des Selbst‘ entwickelt, das Praktiken beschreibt, über die Menschen ihr eigenes Selbst modifizieren und stilisieren. Im Zusammenspiel mit aktuellen Forschungsansätzen zu sozialen Handlungsmodellen lässt sich so ein Analyseinstrumentarium entwerfen, das Praktiken spätmittelalterlicher Existenzbildung und literarischer Selbststilisierung auf eine methodische neue und interdisziplinär ausgerichtete Perspektive beschreiben kann.
Website: DFG Netzwerk LuPE
Projektkoordination: Fabian David Scheidel und Michael Schwarzbach-Dobson
Graduiertenkolleg 2212 "Dynamiken der Konventionalität"
Das Graduiertenkolleg will den Begriff der Konventionalität als einen neuen Schlüsselbegriff für eine interdisziplinäre Mittelalterforschung fruchtbar machen. Konventionalität bezeichnet kollektive Geltungsansprüche des Sprechens, Denkens, Handelns und Darstellens, über die Gesellschaften, Gemeinschaften oder Gruppen durch Übereinkunft oder Habitualisierung Orientierungen in der Zeit ausbilden. Es handelt sich auf allen Feldern sozialer Kommunikation um Einstellungen mittlerer oder längerer Dauer, über die Kontingenz bewältigt und relative Stabilität garantiert wird. Vom modernen Fortschrittsparadigma einerseits und künstlerischen Originalitätspathos andererseits setzen sich Dynamiken der Konventionalität insofern ab, als Bewahrung und Wandel als eng verzahnt aufgefasst werden. Von der Antike über das Mittelalter bis in die Neuzeit hinein wird der Stellenwert der Konventionen in zahlreichen Feldern verhandelt und nimmt damit auf ganz unterschiedlichen Ebenen einen Diskurscharakter von hoher Konstanz an: in Religion, Politik und Recht, in Didaktik, Philosophie, Handwerk und Kunst. Entsprechend ist das Graduiertenkolleg interdisziplinär ausgerichtet und bietet die Gelegenheit, disziplinäre Forschung in übergeordneten Kontexten zu reflektieren.
Narrative Vermittlung religiösen Wissens Edition und Kommentierung geistlicher Vers- und Prosatexte des 13. bis 16. Jahrhunderts
Gefördert durch die DFG
In umfangreichen Pergament- und Papier-Handschriften des 13. bis 16. Jahrhunderts ist eine bislang nur bedingt überschaute Menge an kleineren Erzähltexten sowohl „weltlicher“, novellistischer, als auch „geistlicher“ Art gesammelt und aufgeschrieben worden. Nach einem über acht Jahre von der DFG in zwei Arbeitsstellen in Köln und Tübingen geförderten Projekt, in dem die seit Jahrzehnten geforderte Edition und Kommentierung der deutschen, „weltlichen“ Versnovellistik des Mittelalters erfolgreich und fristgerecht abgeschlossen werden konnte (vgl. http://www.versnovellistik.uni-koeln.de/8149.html), ist nun einem Antrag stattgegeben worden, auch die oft in den gleichen Handschriften überlieferten kleineren „geistlichen“ Texte in einer kommentierten Edition vorzulegen. Dieses Projekt ist wiederum auf 8 Jahre mit Arbeitsstellen in Köln und Tübingen angelegt und trägt den Titel: „Narrative Vermittlung religiösen Wissens: Edition und Kommentierung geistlicher Vers- und Prosatexte des 13. bis 16. Jahrhunderts.“ Projektziel ist die Edition und Kommentierung deutscher, in Sammelhandschriften des 13. bis 16. Jahrhunderts überlieferter „geistlicher“ Vers- und Prosa-Erzählungen. Es handelt sich um insgesamt 179 Texte unterschiedlicher literarischer Typen und Sprechhaltungen, in denen religiöses Wissen narrativ, in etlichen Fällen auch diskursiv, nie aber einsinnig vermittelt wird. Vielmehr ermöglicht es gerade der Buch-Typus Sammelhandschrift in der flexiblen Zusammenstellung von geistlichen Texten, intrikate Probleme christlicher Religion zu formulieren und zu diskutieren. Mit der Edition und der Kommentierung der literarhistorisch allenfalls in einzelnen Beispielen, nie aber insgesamt gewürdigten und erforschten Texte soll eine bedeutsame Gruppe „populärer“ Literatur des Mittelalters und der frühen Neuzeit erstmals Kontur(en) erhalten. Es ist diese noch kaum gesichtete Literatur gewesen, die unter den Bedingungen vormoderner Kommunikation mit dafür gesorgt hat, dass „die Reformatoren auf eine Laienschaft bauen konnten, die auf grundsätzliche Auseinandersetzungen über religiöse Fragen genügend vorbereitet und zu selbständigem Urteil befähigt war“ (Williams-Krapp). Im Projekt soll eine Edition erarbeitet werden, die als Buch, als e-book und als digitale open-Access-Edition verfügbar sein wird. Buch- und online-Ausgabe bieten den kritischen Text und dessen Übersetzung ins Englische, die Buchausgabe eine Auswahl der Überlieferungsvarianz und der Kommentierung, die Online Ausgabe die vollständige Überlieferungsvarianz sowie eine mehrschichtige, kriteriengeleitete Kommentierung. (Text: Hans-Joachim Ziegeler)
Homepage: Narrative Vermittlung religiösen Wissens
Projektleitung: Prof. Dr. Hans-Joachim Ziegeler & Prof. Dr. Klaus Ridder