Medienpathologien: Die Zuschreibung krankhafter Folgen von Kunst- und Medienrezeption und deren Interferenz mit ästhetischen Konzepten zwischen 1770 und 1920
DFG-Einzelsachbeihilfe, 2019-2021
Leitung Prof. Dr. Nicolas Pethes, Projektmitarbeiterin Dr. Susanne Düwell
Das Projekt plant eine historische Rekonstruktion und systematische Analyse von Diskursen, die Formen intensiven bzw. exzessiven Kunst- und Medienkonsums medizinisch (bzw. psychiatrisch) oder pädagogisch (bzw. sozialpsychologisch) pathologisieren. Derartige Diagnosen existieren nicht erst mit Blick auf den Umgang mit digitalen Medien. Sie lassen sich schon im Kontext der Leserevolution bzw. der Theaterbegeisterung am Ende des 18. Jahrhunderts nachweisen und prägen unter gewandelten medientechnischen und epistemologischen Bedingungen auch die Diskussion über den Film zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Das Projekt wird diese verschiedenen Phasen und Referenzmedien des Diskurses über pathologische Formen und Folgen der Rezeption populärer Kunst und Unterhaltung erstmals unter umfassender Berücksichtigung der historischen Quellenlage systematisch und vergleichend aufarbeiten. Auf diese Weise werden nicht nur die Kontinuitäten eines spezifischen kulturkritischen Diskurses zu unterschiedlichen Phasen der Literatur- und Mediengeschichte kenntlich gemacht, sondern auch die Transformationen dieses Diskurses angesichts des Wandels medialer Präsentations- und Rezeptionsformen. Erst eine solche historische Differenzierung unterschiedlicher Mediendispositive und Krankheitsdiagnosen wird es erlauben, gegenwärtige Diskussionen über Mediensucht zu analysieren und zu bewerten.
Ornamentale Konstellationen. Zur Ästhetik von Literaturmagazinen im Medienverbund der Moderne (1880-1930)
Teilprojekt 1 der DFG-Forschergruppe 2288 "Journalliteratur“
Bochum/Köln/Marburg, Phase 2
Prof. Dr. Nicolas Pethes und Dr. Daniela Gretz
Das Teilprojekt untersucht, auf welche Weise sich literarische Zeitschriften bzw. Literatur in Zeitschriften an der Wende zum 20. Jahrhundert im Rahmen der verschiedenen Strömungen der literarischen Moderne einerseits und des Aufkommens der neuen Massenmedien Kino und Rundfunk andererseits positionieren. Untersucht wird, wie die fraglichen Periodika sowohl hinsichtlich der in ihnen abgedruckten Texte als auch bezüglich deren typographischer Anordnung und Layout mit einem ästhetischen Anspruch eigenen Rechts auftreten. Das betrifft historisch zunächst diejenigen »kleinen Magazine «, die sich, beginnend mit den naturalistischen und ästhetizistischen Strömungen, als programmatische Organe positionieren, und setzt sich im Kontext des Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit in generischen Formaten fort, die in weiterem Sinn als Literatur- und Kulturzeitschriften auftreten, dabei aber nicht mehr auf die Veröffentlichung von literarischen Texten in Fortsetzungslieferungen setzen, sondern auf die Montage ›kleiner Formen‹, durch die die einzelnen Zeitschriftennummern sowohl inhaltlich als auch visuell eine eigene Werkästhetik erproben. Als analytische Schlüsselkategorie wird das Teilprojekt hierzu das in der Architektur-, Literatur- und Kulturtheorie der Zeit kontrovers (nämlich gleichermaßen als ein ästhetizistisches wie als massen- und populärkulturelles Phänomen) diskutierte Konzept des Ornaments heranziehen und die Wechselwirkungen zwischen Ornamentdebatten in Zeitschriften mit deren eigener ornamentaler Gestaltung – hinsichtlich der sprachlichen Gestaltung des einzelnen Schrifttextes, der Konstellation oder Montage verschiedener Texte bzw. von Schriftbeiträgen und Bildern oder Anzeigen sowie Elementen der Typographie und des Layouts – verfolgen.
Poetik der Miszelle
Zur Koevolution von periodischer Presse und modernem Roman
DFG-Forschungsgruppe 2288: „Journalliteratur: Formatbedingungen, Visuelles Design, Rezeptionskulturen“, 10/2016-2019
Das Teilprojekt plant, die Zusammenhänge zu untersuchen, die zwischen der Ästhetik der Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts und Publikationsformen der periodischen Presse der Zeit bestehen. Dabei soll gefragt werden, welche Auswirkungen die Veröffentlichung von Zeitschriftentexten in Fortsetzungen, ihre Zugehörigkeit zu unterschiedlichen thematischen und textsortenspezifischen Serien sowie ihre Plazierung im Kontext unterschiedlicher Wissensdiskurse auf die Erzählstruktur fiktionaler Texte gehabt haben. Die Ausgangsvermutung ist, daß die zunehmende Präsenz von Zeitungen und Zeitschriften auf dem Massenbuchmarkt des 19. Jahrhunderts Rezeptionserwartungen ausgebildet hat, die die Übernahme bestimmter Aspekte von Zeitschriftenpublikationen (z.B. Fortsetzungsstrukturen, Aktualitätsbezug oder Interdiskursivität) in die Gestaltung von Romanen und Erzählungen zur Folge hatten. Dabei wird aber nicht davon ausgegangen, daß die Erzähl- und Romanliteratur passiv und reflexartig auf Formen der Zeitschriftenkommunikation reagiert, sondern daß beide – periodische Presse und Romanpoetik – sich wechselseitig beeinflussen, so daß man von einem Rückkopplungseffekt oder einer Koevolution sprechen kann.
Die Rekonstruktion dieser Koevolution orientiert sich am Begriff der »Miszelle«, die als offene, ›vermischte‹ und seriell angelegte Textsorte den heuristischen Ausgangspunkt für diejenigen Strukturelemente von Zeitschriftenpubikationen bilden soll, die im Zuge der Projektarbeit terminologisch weiter zu differenzieren sein werden. Methodisch wird das Teilprojekt von exemplarischen Erzähltexten ausgehen, die in Zeitschriften veröffentlicht wurden und diese auf ihre Wechselbezüge mit den medien-, diskurs- und gattungsspezifischen Implikationen ihres Publikationsrahmens untersuchen. In Kooperation mit weiteren Teilprojekten der Forschergruppe stehen dabei v.a. Strukturen der Serialisierung, Reflexionen auf das Journalformat sowie die Programmierung spezifischer Rezeptionshaltungen im Fokus. In einem zweiten Schritt soll dann das textuelle Umfeld der exemplarischen Erzähltexte in den jeweiligen Zeitschriften erschlossen werden, so daß neben die kanonischen Ausgangstexte ein Vergleichskorpus bislang unbekannter Zeitschriftenliteratur tritt. Auf diese Weise plant das Teilprojekt auch, herkömmlichen Rubrizierungen der Literaturgeschichte des 19. Jahrhunderts eine medienhistorisch informierte Alternative entgegenzustellen.
Das Teilprojekt leistet auf diese Weise sowohl einen Beitrag zur Ästhetik von Journalliteratur als auch zur medienhistorischen Revision von Kanonisierungsprozessen, ermöglicht anhand der Pointierung serieller und interdiskursiver Strukturelemente der Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts aber auch eine Verlängerung der Fragestellung ins 20. Jahrhundert bzw. bis hin zur Medienästhetik unserer Gegenwart.
Projektleitung: Dr. Daniela Gretz und Prof. Dr. Nicolas Pethes
Projektmitarbeiter: Dr. Marcus Krause
Falldarstellungen in der Kriminalpsychologie:
Konstitution, Transfer und Transformation von Fällen in unterschiedlichen Text-, Medien- und Wissensformen (1790-1840)
DFG-Einzelsachbeihilfe, 1.1.2016-31.12.2018
In Fortführung der Untersuchung psychologischer, pädagogischer und juristischer Fallsammlungen in Zeitschriften der Spätaufklärung fragt das Projekt danach, wie Falldarstellungen im Prozeß der Konsolidierung der Gerichtspsychologie zu Beginn des 19. Jahrhunderts in verschiedene Publikationskontexte transferiert und dabei jeweils medien- und textsortenspezifisch transformiert wurden. Auf der Grundlage einer umfangreichen Erschließung und vergleichenden Analyse gerichtspsychologischer Falldarstellungen – in Zeitschriften, Monographien, Handbüchern, Lehrbüchern, Enzyklopädien sowie populären Kompendien von Kriminalfällen – kann zum einen die Ausbildung paradigmatischer Fälle innerhalb der entstehenden Subdisziplin der Gerichtspsychologie verfolgt werden; zum anderen der jeweilige wissenshistorische Stellenwert unterschiedlicher epistemischer Genres – im Anschluß an Ludwik Flecks Unterscheidung von Zeitschriften- und Handbuchwissen – entfaltet und auf ihre Wechselwirkung mit literarischen Kriminalerzählungen der Zeit hin untersucht werden
Projektleitung: Prof. Dr. Nicolas Pethes
Mitarbeiterin: Dr. Susanne Düwell
Anneliese Maier-Forschungspreis für Niklaus Largier (UC Berkeley)
Kooperation mit dem Institut für Deutsche Sprache und Literatur I (Prof. Dr. Anja Lemke)
Der Mediävist und Kulturwissenschaftler Niklaus Largier (Professor of German and Comparative Literature, UC Berkeley) ist von der Alexander von Humboldt-Stiftung für seine herausragende Forschung auf dem Gebiet der mittelalterlichen Mystik und Scholastik und deren komplexer Verschränkung mit aktuellen kulturtheoretischen Fragestellungen mit dem Anneliese Maier-Forschungspreis 2015 ausgezeichnet worden. Der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gestiftete Preis zeichnet herausragende Wissenschaftler aus den Geistes-und Sozialwissenschaften aus und dient der zukunftsweisenden Forschungskooperation internationaler Wissenschaftler mit Fachkolleginnen und Fachkollegen aus Deutschland. Das Institut für Deutsche Sprache und Literatur I hat Niklaus Largier für den mit 250.000 Euro dotierten Preis nominiert und freut sich nun auf eine produktive Zusammenarbeit in den kommenden fünf Jahren. In Kooperation mit der Neu- und der Altgermanistik wird Niklaus Largier ab dem nächsten Semester einen Forschungsschwerpunkt zum Thema seiner aktuellen Arbeiten entwickeln. Unter dem Titel "Figures of Possibility, from late medieval religious philosophy to modern thought and literature / Figuren des Möglichen, von der mittelalterlichen Religionsphilosophie zur modernen Theorie und Literatur" steht im Mittelpunkt der gemeinsamen Forschung der Versuch, das Feld der ästhetischen Möglichkeitsräume in einem diachronen Schnitt vom Mittelalter über die Zeit um 1800 bis hin zur klassischen Moderne und dem späten 20. Jahrhundert zu kartographieren, unterschiedliche Möglichkeitskonzepte zu identifizieren und auf ihre Rolle in den spezifischen Wissensformen der jeweiligen Zeit hin zu befragen.
Website: Anneliese Maier-Forschungspreis
Kontakt: Prof. Dr. Anja Lemke